Guidewire Kommentar: Generative KI kommt zur rechten Zeit, wenn kaum ein Risiko mehr für sich alleine steht
Rene Schoenauer, Director Product Marketing EMEA bei Guidewire Software, über die Herausforderungen und Hoffnungen für die Versicherungsbranche 2024
Als sich das Jahr 2022 dem Ende näherte, beschäftigte sich die Versicherungsbranche mit den Nachbeben der Pandemie, wie beispielsweise Schwierigkeiten im Lieferketten-Management und das Potential für Kumulrisiken, das Risikoanalysen zusehends komplexer macht. Eine ebenfalls schwer abzubildende Risikolandschaft wird die Versicherer auch 2024 weiterhin bewegen: Cyber Risk, der Klimawandel und damit assoziierte Risiken bestehen fort. Neuer auf dem Spielfeld sind hingegen Innovationen und Disruptionen, die durch den Quantensprung bei künstlicher Intelligenz (KI) in Form von Large Language Models (LLMs) gemacht wurden.
Generative KI: Potenziale und Risiken für Versicherer in der Ära der künstlichen Intelligenz
Konkrete Anwendungsfälle innerhalb und Produkte für die Versicherungsbranche hinsichtlich generativer KI und LLMs stecken bislang noch in den Kinderschuhen. Doch das Thema ist bereits in aller Munde, die Einkaufsabteilungen stehen sprichwörtlich schon in den Startlöchern. Viele Versicherer nutzen KI schon jahrelang erfolgreich – besonders im Bereich Data Analytics. Generative KI wird nun bestehende KI-Anwendungsbereiche weiter schärfen und neue Bereiche eröffnen: Underwriting, manuelle Datenarbeit wie Data Entry oder Cleansing, Dokumentenverarbeitung, bis hin zum Kundenservice und mehr können mithilfe von generativer KI teils oder gar gänzlich automatisiert werden. Mit LLMs kann KI nun mit wesentlich größeren Datensätzen Sprache auf Anomalien, Unstimmigkeiten und ungewöhnliche Muster prüfen und so auf potentielle Betrugsfälle hinweisen.
Bei all dem Einsatz generativer KI sollten Versicherer immer ein Auge auf ihre Versicherten haben: Wie nehmen sie KI wahr? Wie wird der Einsatz von KI, zum Beispiel in Form von Chatbots, gut angenommen? Werden Einsparpotenzial und Effizienzgewinne durch KI auf die Versicherungspolicen umgelegt, oder verbleiben Versicherer mit größeren Gewinnmargen? Wenn KI mit Fingerspitzengefühl eingeführt, umgesetzt und positioniert wird, kann sie sowohl für Versicherer als auch für Versicherte als Win-Win-Situation wahrgenommen werden.
Neue Mittel und Wege kommen für Versicherer mit neuen Fallstricken
Manche Märkte sehen bereits Risiken in Form von sozialen Unruhen oder Spannungen am Horizont, wenn die Art und Weise des modernen Arbeitens in Frage gestellt wird und dazu noch generative KI in der Diskussion aufkommt. Der Ursprung der Risiken liegt hier, ähnlich wie bei den Herausforderungen im Lieferketten-Management, in der fortgeschrittenen globalen Vernetzung – die Folgen von Verwerfungen in einem einzelnen Markt strecken sich mittlerweile weit über dessen Grenzen hinaus. Neben dem großen und vielfältigen Potential birgt generative KI auch Risiken, wie beispielsweise durch ihren Black-Box-Charakter: Dadurch kann man Versicherungsnehmern bestimmte Entscheidungen, die von einer KI getroffen wurden, nur schwer erklären und auch Fehler können bislang nicht ausgeschlossen werden. Sogenannte KI-Halluzinationen (Fälle in denen KI etwas Falsches oder gar Erfundenes darstellt) erschweren die Kontrollierbarkeit. Antworten auf Haftungsfragen bei etwaig entstandenen Schäden, oder wie ein erneutes Auftreten der KI-Fehler verhindert werden kann, wenn der Entscheidungsweg der Technologie nicht abgebildet werden kann, bleiben bislang aus. Da die Entwicklungen bei LLMs und generativer KI noch so jung sind, ist anzunehmen, dass sich hier in nächster Zeit noch einiges tun wird, um das Revolutionspotential auszuschöpfen und Risiken besser abzudecken.
Cyber Risk: Resilienz als Schlüssel für die Versicherungsbranche
Neben KI wird auch Cyber Risk Versicherer im kommenden Jahr fordern. Im AXA Future Risks Report 2023 wurde Cyber Risk von Experten als zweitwichtigste Risikokategorie eingestuft. Zwar war auch in den letzten Jahren die Bedrohung durch Cyberkriminalität eine wachsende, jedoch beschreibt eine Studie des BSI zur Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2023 aufgrund neuer Entwicklungen innerhalb der cyberkriminellen Schattenwirtschaft Cyber-Resilienz als Gebot der Stunde. Seitens der Angreifer stehe nicht mehr die Maximierung des Lösegelds im Vordergrund, sondern leicht angreifbare Ziele. So werden zunehmend kleine und mittelständische Unternehmen Opfer von Ransomware-Angriffen als auch Behörden auf Länder- und Kommunalebene. Für Versicherer könnte dies bedeuten, dass die Schadenfälle im Cyber-Risk-Umfeld nominal steigen, während Schadenvolumina nicht zwingend gleichermaßen wachsen. Diese steigende Anzahl an Cyber-Angriffen verschärft die Problematik von Rückwirkungsschäden in unserer immer stärker verzahnten Wirtschaft. Dadurch wächst bei der Risikoanalyse für Cyber Risk der Stellenwert von Resilienz.
Aber nicht nur Ransomware-Attacken auf Unternehmen formen die für Versicherer relevante Cyber-Risk-Landschaft. Beispielsweise Hacktivismus in Form von DDoS-Angriffen (Distributed-Denial-of-Service-Angriffe) auf Regierungsseiten sind ein Sinnbild für politisch motivierte Cyberangriffe und veranschaulichen das Potential von Cyberattacken als Protestmittel oder gar Terrorangriff.
Der Klimawandel als Bedrohung für die Versicherungsbranche und Verbraucher
Noch relevanter als Cyber-Risiken schätzen die Experten und Verbraucher der AXA-Umfrage übrigens Klimarisiken ein. Für Versicherer in den US-amerikanischen Bundesländern Florida, Kalifornien und Louisiana erschien deshalb der Rückzug aus dem Geschäft mit Klimarisiken sogar die richtige Antwort. In Europa und Deutschland wird die Absicherung von Klimarisiken ebenfalls schwierig: R&V-Vorstandschef Norbert Rollinger sieht die Lage in einem Interview mit der Mediengruppe VRM ähnlich. Hier werden prädiktive Versicherungsmodelle besonders interessant. Denn mit Wetterdaten, Satellitenaufnahmen und der allgemeinen Fülle an meteorologischer Datenerhebung existiert ein solides Datenfundament. In Kombination mit generativer KI werden prädiktive Modelle weiter geschärft, Satellitenbilder können stärker und schneller durch Automation genutzt werden und für Versicherer könnten Schadenspitzen – die häufig bei weitreichenden Ereignissen wie Umweltkatastrophen vorkommen – mithilfe von KI-unterstützter Schadenbearbeitung besser abzufedern sein.
Zwei Köpfe sind klüger als einer – vielleicht auch, wenn der zweite ein Computer ist?
Die Herausforderungen und Chancen, die die Versicherungsbranche im Jahr 2024 erwarten, sind vielschichtig sowie an vielen Stellen vernetzt und bedingen einer sorgfältigen Analyse. Egal ob Klima-, oder Cyber-Risiken, oder generative KI: Die künstliche Intelligenz kann die Versicherungsbranche in vielerlei Hinsicht bereichern, wenn die Risiken, die sie mit sich bringt, eingehend beleuchtet und bestmöglich ausgeschlossen werden. Die korrekte Positionierung der Technologie wird eine große Rolle spielen. Für Versicherer stellt generative KI zusammen mit bereits etablierten KI-Werkzeugen einen Silberstreif am Horizont für neue und bereits bestehende Herausforderungen dar.
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