Unternehmen kämpfen mit Widersprüchen am Arbeitsmarkt: Nachhaltigkeit vs. Fernreisen
Trotz umfassender Bemühungen präsentiert sich für viele Unternehmen die Suche nach motivierten und qualifizierten Mitarbeitern, sowie deren Eingliederung in bestehende Teams äußerst schwierig.
Zahlreiche Unternehmen haben in den vergangenen Jahren viel Geld in die Arbeitgeberattraktivität investiert. Begriffe wie “Employer Branding” und “Employee Value Propositions” haben schrittweise die “klassischen” Unternehmenswerte abgelöst. Trotz umfassender Bemühungen präsentiert sich die Suche nach motivierten und qualifizierten Mitarbeitern, sowie deren Eingliederung in bestehende Teams äußerst schwierig. Zusätzlich lassen sich immer häufiger auch Generationenkonflikte erkennen, die dieses Thema zusätzlich erschweren.
Im Wesentlichen kristallisieren sich für den Arbeitspsychologen Andreas Hermann (CEO von Business Beat) derzeit drei gravierende Widersprüche heraus, mit denen Unternehmen in ihrer Funktion als Arbeitgeber vermehrt konfrontiert sind:
Der Hunger nach Feedback, aber keine Fähigkeit mit Kritik umgehen zu können
Qualitatives und ehrliches Feedback und Wertschätzung werden sich in den nächsten Jahren zum neuen Gold in der Arbeitswelt entwickeln. Das hohe Lohnniveau und die durchaus attraktiven Steigerungen in den Tarifabschlüssen verändern nicht unseren Hunger auf Feedback, Wertschätzung und Anerkennung. Im Gegenteil, sie zeigen eine der größten Herausforderungen in der aktuellen Arbeitswelt: Mitarbeiter:innen wollen gesehen und gehört werden. Sie wollen – sanfte aber meist sehr sanfte – Hinweise, wie sie ihre Arbeit verbessern und verändern können. Allerdings ist die Kritikfähigkeit dabei ausgesprochen gering. Entwicklungspsychologisch stellt sich die Frage, ob die notwendigen Konflikte und Kritikgespräche zu sehr von den Eltern geführt wurden? Dadurch, dass viele Erziehungsberechtigte Ihren Kindern Auseinandersetzungen und Unstimmigkeiten abnehmen, sei es in der Schule oder am Spielplatz, lernen diese kaum mehr mit diesen umzugehen. Arbeitspsychologisch können auch die Führungskräfte in die Kritik genommen werden, weil sie für die Gestaltung eines vertrauensvollen Umfelds verantwortlich sind, das genügend Raum und gegenseitigen Respekt für einen offenen Umgang mit Kritik ermöglichen sollte. Sie sind der entscheidende Schlüssel, wenn es um den Nährboden einer gelungenen Feedbackkultur im Team geht.
Unternehmen sollen nachhaltig wirtschaften und agieren, Mitarbeiter:innen suchen Fernreisen und Sehnsuchtsorte
Es ist ein aus meiner Sicht ein sehr paradoxes Phänomen, dass vor allem junge Arbeitnehmer:innen gerne den Arbeitgebern übertragen. Sie wollen anderen davon erzählen können, dass sie bei einem besonders nachhaltigen Unternehmen arbeiten, das im besten Fall sämtliche Facetten der SDGs abdeckt. Damit kann man ein “gekauftes” Image Social-Media-tauglich nach außen tragen und leichter verschleiern, dass man selber weniger auf die Umwelt achtet. So führen auch private Fernreisen zu Sehnsuchtsorten nicht mehr zu einer – subjektiv empfundenen – negativen Disbalance.
Hier wäre es durchaus denkbar, ob es nicht Unternehmen gelingen kann, eigene Sehnsuchtsorte zu kreieren. Die Post beispielsweise lebt diesen Ansatz bereits vor, indem sie Mitarbeiter:innen sehr günstige Ferienmöglichkeiten bietet. Ein echtes Benefit, das nicht grün angestrichen werden muss.
Ein hohes Interesse an honorigen Titeln und Aufgaben und dabei dennoch keine Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme
In diesem Bereich entsteht eine wahre Zwickmühle zwischen der Bereitschaft der Mitarbeiter:innen zur Verantwortungsübernahme in Kombination mit der bestehenden Hierarchie und dem Organigramm im Unternehmen. Es muss unverfänglich, einfach, unangreifbar und kritikarm organisiert sein. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Wir müssen hier beginnen, deutlich radikaler zu denken:
* hohes Maß an Eigenverantwortung ab der ersten Minute im Unternehmen,
* kleine Teams mit Teamleads, die wenig Führungsverantwortung und mehr Anleitungs- und Umsetzungsverantwortung haben
* gepaart mit einem engeren Netz an generalisierten Führungskräften, die nahezu ausschließlich People-Management betreiben.
Diese Ansätze mögen herausfordernd und schwierig klingen. Sind sie alternativlos? Ja, aus meiner Sicht schon. Die Führungskräfte von gestern haben nun mal die Mitarbeiter von heute so erzogen. Und der Wegfall der Baby-Bommer (also jener geburtenstarken Jahrgänge) in den nächsten fünf Jahren wird die aktuelle Situation zusätzlich anheizen, sodass wir uns vermutlich jene von heute sehnlichst zurückwünschen. Oder aber – wir beginnen jetzt umzudenken …
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